Stress begünstigt die Entstehung von Autoimmunerkrankungen. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurden eine ganze Reihe klinischer Studien zu diesem Thema durchgeführt, die diesen Zusammenhang belegen. Lediglich zur Klärung der Frage, wie hoch der Einfluss von Stress bei der Entstehung von Autoimmunprozessen ist, bedarf es noch weitergehender Untersuchungen. Im Rahmen einer schwedischen Studie beobachteten Wissenschaftler über einen Zeitraum von zehn Jahren mehr als 100 000 Personen. Sie waren ohne Zweifel einer hohen Stressbelastung ausgesetzt. Bei ihnen wurde eine Stresserkrankung wie die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) oder eine akute Stressreaktion diagnostiziert. Das Ergebnis zeigt, dass das Risiko, eine Autoimmunerkrankung zu entwickeln, um den Faktor 1,36 erhöht ist, wenn eine Stresserkrankung vorliegt; bei Vorhandensein einer PTBS war das Risiko in Bezug auf einzelne Autoimmunerkrankungen sogar bis um das 2,29-Fache erhöht.

Was ist Stress?
Wir müssen uns klarmachen, dass in der Entwicklungsgeschichte des Menschen Stress gleichbedeutend war mit akutem Stress. Von akutem Stress sprechen wir, wenn eine Belastung von einer Krise geprägt ist und eine sofortige körperliche Anpassung erfordert. Er trat zum Beispiel auf, wenn unsere Vorfahren von einem Raubtier attackiert wurden oder sie selbst Jagd auf Beute machten. In diesen Situationen sind Kraft, Denk- und Reaktionsvermögen gefragt. Muskeln und Gehirn müssen mit Sauerstoff und Energie versorgt werden. Puls und Blutdruck steigen. Blutgefäße verengen sich. Prozesse wie Wachstum, Immunabwehr oder Sexualfunktion sind während akuter Stressbelastung hingegen für den Moment unwichtig oder hinderlich und werden entsprechend heruntergefahren. Sie würden dem Körper nur Energie entziehen, die an anderen Orten im Organismus zur Herstellung der Flucht- oder Kampfbereitschaft gebraucht wird. In diesen Fällen macht der Körper keine Kompromisse. Sogar die Verdauung, mit der in einer kritischen Situation wichtige Energie gewonnen werden könnte, stellt er zurück. Stattdessen greift er auf in Fettzellen gespeicherte Energiereserven zurück. Akuter Stress begegnet uns auch heutzutage noch, zum Beispiel wenn wir uns im intensiven sportlichen Wettkampf messen, eine wichtige Prüfung meistern müssen oder wenn wir auf der Straße überfallen werden. Das Interessante bei diesen Beispielen: Es handelt sich um (extreme) Ausnahmesituationen, dennoch erholt sich der Körper von derartigen Belastungen dank evolutionär erlernter Ausgleichsreaktionen relativ schnell, sogar dann, wenn die Krise länger andauert.
Anders verhält es sich, wenn Stress in einer vergleichsweise neuen Erscheinungsform auftritt, die Menschen in den modernen Gesellschaften zunehmend zu schaffen macht: chronischer psychischer Stress. Psychische Stressoren zeichnen sich dadurch aus, dass sie allein aufgrund von Gedanken starke Gefühle erzeugen. Diese Gedanken können sich auf Ereignisse beziehen, die noch gar nicht eingetreten sind, oder auf Dinge, die nur Produkte unseres Geistes sind: Werde ich bei der Präsentation morgen versagen? Werde ich im Alter genug zum Leben haben? Leide ich an einer seltenen Krankheit?
"Im Grunde leben wir Menschen gut genug und lange genug, und wir sind klug genug, um belastende Ereignisse aller Art ausschließlich in unseren Köpfen zu produzieren", stellt der berühmte amerikanische Stressforscher und Neurologe Robert Sapolsky fest. Das Problematische daran ist: Unser Körper kann nicht zwischen realer und fiktiver Bedrohung unterscheiden. Ob wir nun in der afrikanischen Savanne vor einem Löwen flüchten, wie es unsere tierischen Vorfahren taten, oder ständig Angst haben, unseren Job zu verlieren – unser Organismus reagiert im Grunde mit derselben altbewährten Stressantwort. So adäquat und lebenswichtig die körperliche Reaktion im ersten Fall ist, so fatal kann sie wirken, wenn der Stress aus psychischen Gründen chronisch wird.
Was passiert im Körper bei Stress?
Sind wir physischen oder psychischen Stressreizen ausgesetzt, läutet unser Körper augenblicklich die Alarmglocke. Der Hypothalamus aktiviert das sympathische Nervensystem, das sich bis zu fast jedem Organ hin verzweigt. Nervenimpulse erreichen die Nebennieren. Sie produzieren Adrenalin und geben es in die Blutbahn ab, um einen Zustand völliger Wachsamkeit und Handlungsfähigkeit zu erreichen. Noradrenalin wird ausgeschüttet. Das wiederum bewirkt, dass die Nebennierenrinde das als »Stresshormon« bekannte Cortisol bildet. Seine wichtigste Funktion besteht darin, dass es den Organismus widerstandsfähig macht. Dazu wirkt Cortisol auf das Immunsystem ein. Es fährt dessen Aktivität herunter und drosselt Entzündungsreaktionen. Der Hypothalamus verlässt sich jedoch nicht nur auf das vegetative Nervensystem, um den Körper auf Stress vorzubereiten. Hormone, die von der Hypophyse ins Blut abgegeben werden, erreichen nach einigen Sekunden ebenfalls die Nebennieren. Glukokortikoide werden produziert, wodurch die Wirkung von Adrenalin verstärkt und verlängert wird.

Wenn chronischer Stress krank macht
Anhaltender oder wiederkehrender Stress erhöht das Risiko zu erkranken beziehungsweise dass bestehende Krankheiten einen negativeren Verlauf nehmen und sich Symptome verschlimmern. Er beansprucht und belastet die Blutgefäße und erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Cortisol wirkt in akuten Stresssituationen entzündungshemmend. Dauerhaft in Aktion, erhöht es die Anfälligkeit von Zellen für Erreger. Zudem bedarf die unaufhörliche Bildung des Stresshormons Cortisol so vieler Ressourcen, dass der Herstellung
anderer Hormone sprichwörtlich das Wasser abgegraben wird. Der Hormonhaushalt gerät aus dem Gleichgewicht. Cortisol ist ebenso wie Östrogen und Testosteron ein Steroidhormon. Es kann dazu beitragen, dass es zu einer Verschiebung im Gleichgewicht zwischen entzündungshemmenden und entzündungsfördernden Zytokinen kommt.
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